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Beitrag vom 24.08.2018
Silvana. Dokumentarfilm über die schwedische Rapperin und Feministin Silvana Imam. Kinostart: 23.08.2018
Helga Egetenmeier
Ab ihrem Karrierebeginn 2014 begleitete das weibliche Regie-Kollektiv Mika Gustafson, Olivia Kastebring und Christina Tsiobanelis die Aktivistin drei Jahre lang. Der mit künstlerischem, wie auch politischem Anspruch gedrehte Debütfilm zeigt die private Seite der lesbischen Musikerin in ihrem Engagement gegen Rassismus und Homophobie, wie auch in ihrer Liebesbeziehung zur Popsängerin Beatrice Eli. Ausgezeichnet mit dem Guldbagge Award for Best Documentary Feature.
Den Regisseurinnen, die sich auch bei der Kameraführung abwechselten, gelingt durch die chronologische Verwendung ihres reichhaltigen Bildmaterials und die Beibehaltung des Originaltons eine frische Gegenwärtigkeit und Authentizität. Somit bekommen die Zuschauer*innen das Gefühl, die Künstlerin unmittelbar für drei Jahre bei ihrer persönlichen und musikalischen Entwicklung zu begleiten.
Silvana Imam: Tochter, Rapperin, Feministin
Eingestreute Privataufnahmen aus ihrer Kindheit ergänzen das Bild einer Frau, die zu ihren Eltern eine liebevolle Beziehung pflegt. Silvana Imam, wie sie vollständig heißt, wird als Tochter einer litauischen, katholischen Mutter mit zemaitischen Wurzeln und einem Vater mit syrischer Abstammung und islamischer Prägung, 1986 in Litauen geboren. In ihrem vierten Lebensjahr zieht die Familie nach Schweden, dort studiert Silvana nach der Schule Psychologie. Mit "Rekviem" veröffentlicht sie im Mai 2013 ihr erstes Album und erhält im Februar 2015 die Auszeichnung als bester Live-Act bei der Manifestgalan, einer Veranstaltung unabhängiger schwedischer Musikproduzent*innen.
Doch die steigenden medialen Anforderungen, sich als starke Frau zu inszenieren, führen zu ihrem Zusammenbruch. Deshalb zieht sie sich 2016 aus der Öffentlichkeit - verbunden mit einem Dank für die Unterstützung an die LGBT-Association - zurück. Gemeinsam mit ihrer Partnerin, der Popsängerin Beatrice Eli, reflektiert sie ihre bisherige Laufbahn. Dabei ist sich Silvana ihrer Bedeutung als Vorbild für eine lesbisch-queere Lebensweise bewusst und ihr gelingt die Rückkehr auf die HipHop-Bühne. Die Unterstützung, die die Musikerin dabei unter anderem von ihren Eltern erfährt ist ebenso bewegend, wie die Konzertaufnahmen von ihren Fans mit Tränen in den Augen.
Politischer HipHop
Die Konzertausschnitte und Demosequenzen unter der Regenbogenfahne, bilden einen kämpferischen Gegenpol zu den nachdenklichen Anteilen aus dem Privatleben der Musikerin. Neben ihrer feministischen und lesbischen Identität betont Silvana bei ihrer Rückkehr ins Rampenlicht auch offensiv ihre arabischen Wurzeln durch die Herkunft ihres Vaters.
Mit ihren auf der Bühne ins Mikrofon geschrienen Statements, wie "Es ist nicht die Zeit für versteckte Botschaften. Sie hören nicht zu" oder "Ich bin die Klinge am Hals des Patriarchats" und, gegen die Rechten: "Sie wollen Krieg. Ich halte eine Friedensrede", wendet sich Silvana vor ihrem jubelnden Publikum gegen jegliche Form von Unterdrückung. Die positive Platzierung dieser Aufnahmen verweist auch auf deren inhaltliche Unterstützung durch die Regisseurinnen und die Produzentinnen.
Weiblich besetzt: das Regie-Kollektiv und die Produktionsfirma
Der Film, der 2017 den vom Schwedischen Filminstitut verliehenen Guldbagge Award for Best Documentary Feature gewann, wurde von dem Regie-Trio Mika Gustafson, Olivia Kastebring und Christina Tsiobanelis als Kollektivarbeit entwickelt. Sie wenden mit ihrer Arbeitsmethode eine Alternative zur klassischen regiebasierten Hierarchie in der Filmindustrie an, wie sie in ihrem "Statement der Regisseurinnen" durch das Presseheft zum Film veröffentlichen liessen. Damit wollen sie sich "gegen die althergebrachten Arbeitsmethoden auflehnen", um dadurch "tief verwurzelte Machtstrukturen" aufzubrechen. So wechselten sie sich auch in den Ton- und Kameraaufnahmen ab, damit alle Teilnehmenden die Möglichkeit bekamen, in die Entwicklung der künstlerischen Form einzugreifen. Das Ergebnis ist eine Vielfalt an verwendetem Bildmaterial, das dadurch eine Lebendigkeit erzeugt, die stellenweise an Musikvideos erinnert.
Doch erst eine engagierte Produktionsfirma macht einen Dokumentarfilm dieser Größenordnung möglich. Glücklicherweise gibt es immer mehr von Frauen geführte Unternehmen wie Mantaray Film, die den weiblichen Blick auf die Gesellschaft fördern. Mantaray Film wurde 2005 von der Regisseurin und Produzentin Stina Gardell gegründet und international durch den Dokumentarfilm "Ich bin Ingrid Bergmann" (2015) bekannt.
AVIVA-Tipp:"Silvana" fängt als Biopic und Musikfilm die Forderungen nach Gerechtigkeit und die Leidenschaft dieser feministischen und politischen Rapperin ein und zeigt gleichzeitig, wie stark ihr musikalischer Ausdruck mit ihrem privaten Leben verbunden ist. Durch die enge Kameraführung wird die Zuschauerin dabei zur Freundin der Künstlerin, eine schöne Erfahrung, die mensch gerne aus dem Kino mitnimmt.
Zu den Regisseurinnen / Kamerafrauen:
Mika Gustafson, Olivia Kastebring und Christina Tsiobanelis, alle Ende der 1980er Jahre geboren, lernten sich während ihrer Filmausbildung an der Fridhem Folkögskola kennen und taten sich zusammen, um gemeinsam an ihrem kollektiven Filmstil zu arbeiten. Bisher drehten sie fiktionale und dokumentarische Kurzfilme, wie auch Musikinstallationen und Musikvideos, in denen sie Themen wie Identität und Normbrüche aufgriffen. "Silvana" ist ihr gemeinsames Langfilmdebüt.
Zur Produzentin: Stina Gardell, geboren 1965 in Täby/Schweden und ausgebildet an der Stockholm Academy of Dramatic, ist Regisseurin und Produzentin von Dokumentarfilmen. Sie gründete 2005 die Produktionsfirma Mantaray Film und wurde international bekannt als Produzentin von "Ich bin Ingrid Bergmann" (2015). Aktuell startet ihre Produktion "Living. Loving" (2018) über Europas erste Senior*innenresidenz für Homosexuelle. Sie hat eine Tochter mit dem Schauspieler und Musiker Rikard Wolff und zwei Kinder mit ihrer Frau, der Regisseurin Mette Aakerholm Gardell.
Mehr Infos unter. www.mantarayfilm.se
Zur Produzentin: Anna Weitz, geboren 1982 in Västeras/Schweden, arbeitet seit 2012 für die Produktionsfirma Mantaray Film und studierte vorher Dokumentarfilm an der Biskops-Arnö Folkhögskola und der Stockholm Academy of Dramatic Arts. Sie ist Mitglied des RaFILM Filmmakers collective und ein Gründungsmitglied von Noncitizen, einem Nomadenfilm und -kulturprojekt, das sich auf die Themen Migration und Menschenrechte fokussiert.
Silvana
Originaltitel: Silvana - Väck mig när ni vaknat
Schweden 2017
Darsteller*innen: Silvana Imam, Beatrice Eli, u.a.
Regie, Kamera: Mika Gustafson, Olivia Kastebring, Christina Tsiobanelis
Produktion: Stina Gardell, Anna Weitz (Mantarayfilm)
Schnitt: Charlotte Landelius
Musik: Therese Helgesson
Verleih: Rise and Shine
Lauflänge: 91 Minuten
Kinostart: 23.08.2018
Weitere Informationen unter:
www.silvanaimam.com
www.mantarayfilm.se
www.riseandshine-cinema.de
Mehr zum Thema:
www.gender-glossar.deKurze Einführung von Heidi Süß in den Begriff HipHop-Feminismus
Blog: Make Some Noise
Kampagne, um das Schweigen über Homophobie und Sexismus innerhalb der Reggae- und HipHop-Szene zu brechen und längerfristig einen Gegenpol dazu zu bilden.
Auszug aus dem Statement der Regisseurinnen Mika Gustafson, Olivia Kastebring, Christina Tsiobanelis:
"Faschistische Winde ziehen durch Schweden und ganz Europa und Fremdenhass ist eins der Hauptthemen der Parteipolitik. Hassverbrechen gegen Nonkonformität sind Teil des täglichen Lebens vieler Menschen. Um diesbezüglich Veränderungen zu provozieren, sind Gegenaktionen notwendig. Gruppierungen, die diese Gegenaktionen planen, existieren. Vor allem im Bereich der Kunst. Mit Hilfe dieses Filmes wollen wir zeigen, wie Silvana solche Gegenaktionen voranbringt, bei denen die Kreativität nichts mit der Sexualität, der Abstammung, der Zugehörigkeit oder dem Geschlecht zu tun hat, aber befördert wird durch Utopien, Träume und Ideen. Wir wollen diejenigen inspirieren, die sich in der Musik von Silvana wiederfinden, in ihren Kämpfen, und in ihrer Liebe zu Beatrice. Denn auch wenn wir uns im 21. Jahrhundert und in einem relativ toleranten Teil der Erde befinden, so gibt es doch kaum lesbische Liebe festgehalten in Bildern, in Dokumentarfilmen oder in anderen medialen Formen."
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